Die Erfindung des Burnouts; Andacht am 17.10.2012 im Caritas-Haus, Feldberg

Die Erfindung des burnout
1. Kön. 18-19

Wer glaubt, dass das Burnout eine moderne Erfindung ist, dem sei gesagt: Die Bibel hat's erfunden. Genaugenommen ein Mann Gottes namens Elia. Elia war der erste Mensch, von dessen Burnout berichtet wird. Aus seiner Geschichte lässt sich einiges für uns herauslesen. Ausgebranntsein und Erschöpfung ist unter Menschen mit ADHS (und denen, mit denen sie es zu tun haben) weit verbreitet.

Elia war ein Getriebener. Einer der die Sache Gottes auf die Spitze prügelte, der sich festbiss. Er arbeitete unter Druck am besten. Mit Ziellosigkeit und Trägheit konnte er nichts anfangen. Elia heißt übersetzt: Nur der Herr ist Gott. Sein Name war Programm. Er lebte in einer Zeit allgemeinen Rückzugs. Die Leute kümmerten sich um ihre eigenen Angelegenheiten. Wer über den Tellerrand sah, war selber schuld, wenn er Beunruhigendes sah. Die Leute dachten in Klein-Klein. Die Leute dachten so, weil sie in außerordentlich unsicheren Zeiten lebten. Solche Zeiten verstärken das Bedürfnis, sich ins Häusliche zurückzuziehen. Je prekärer das Äußere wird, desto mehr verschanzt man sich im Privaten. Ein Grund für die Unruhe im Land war, dass es neben der ursprünglichen jüdischen Religion noch viele andere Kulte gab. Man duldete diese anderen Kulte. Insbesondere die Regierung tat dies, da sie auf Ausgleich aus war und mit den Nachbarländern keinen Streit wollte, von denen diese Kulte stammten. Die Leute sollten nach ihrer Facon selig werden, so lange sie einen in Ruhe ließen. Die Betonung lag auf „in Ruhe lassen“. Das brachte Elia auf. Diese Art von Ausgleichs- und Toleranzpolitik mobilisierte seinen Widerspruchsgeist. Die Bürger hingegen und insbesondere der König gaben ihren Glauben preis und missachteten Gott. Das brachte Elia in Wut
Und davon hatte er mehr als reichlich.

Heute würde man ihn als Eiferer, als Erzkonservativen, Brutalevangelikalen und Fundi bezeichnen.
Elia war der eiserne Besen des Herrn und wo er fegte, flogen Funken. Ein solcher Mann hatte kaum Freunde und eine Menge Feinde. Seine größte Feindin war ausgerechnet die Frau des Königs.
Ahab von Israel hatte Isebel geheiratet, die Tochter des Königs von Sidon. Es war eine politische Ehe, um sich einen Verbündeten zu schaffen. Isebel war treue Anhängerin der Baalsreligion, eines uralten Fruchtbarkeitskultes mit ziemlich bizarren und grauslichen Ritualen. Ahab duldete dies. Offiziell aus Gründen der Staatsräson. Inoffiziell wusste ganz Israel, wer im Herrscherhaus der Mann war. Und Ahab war es nicht. Elia hingegen widerstand und widersetzte sich der Königin.
Isebel hasste Elia und Elia verfluchte die Königin. Es war leidenschaftlicher Abscheu auf den ersten Blick. Zwei Dinge feuerten Elia an: Der Abscheu vor Isebel und ihrer falschen Religion und die Haltung der Israeliten. Das Volk ließ sich vom Krieg der Kulte unterhalten. Es beobachtete das Treiben der Akteure und tat ansonsten das, was zivilisierte Menschen stets tun, wenn andere aufeinander losgehen: Sie schüttelten peinlich berührt die Köpfe und legten die Hände in den Schoß.
Diese Trägheit, diese Unentschiedenheit ließen den Propheten vor Wut und Leidenschaft brennen.

Trägheit und Unentschiedenheit ist für Leute mit ADHS nichts. Mit Durschwurschteln und Larifari können sie nichts anfangen. Vielleicht schon allein deswegen, weil sie sich nicht sonderlich geschickt anstellen, was elegantes Durch-die-Maschen-Schlüpfen betrifft. Das ist durchaus ein Vorteil. Wer ständig die Ohren anlegt und den Mund nicht aufmacht, braucht sich nicht zu wundern, wenn er irgendwann taub und stumm wird. Diese Gefahr freilich drohte Elia nicht. Er war weder taub und ganz bestimmt nicht stumm. Wo immer er auf Baalspriester und –propheten stieß, ging er in den Frontalangriff über. Zwischen den falschen Priestern der Isebel und Elia kam es zu einem denkwürdigen Showdown:
Auf dem Berg Karmel schichtete er einen Altar aus Holz auf. Derjenige Gott, der den Stapel entzünden würde, sollte der Gott Israels sein. Elia hatte keinen Zweifel, wer den Sieg davontragen würde. Elia inszenierte diesen Götterkampf publikumsträchtig. Das Volk sollte selbst kommen, selbst sehen und selbst urteilen. Bei Baal kräuselte sich nicht einmal ein Rauchwölkchen, obwohl sämtliche 450 versammelten Priester alle Register ihres kultischen Könnens zogen. Der Gott Elias aber brachte den Altar mit einem Blitz zum Brennen. Was nun geschah, ging in die biblischen Analen ein. Elia griff zum Schwert und richtete unter den besiegten Priestern ein Blutbad an. Sein Sieg sollte ein endgültiger sein. Mit eigener Hand beförderte er die Baalsfunktionäre ins heidnische Jenseits. Als Isebel von dieser Gräueltat erfuhr, geriet sie außer sich vor Wut und blies zum Sturm gegen Elia.

Nun könnte man meinen, dass Elia das Wüten der Königin nichts ausmachen würde. Immerhin hatte er vor aller Augen klargemacht, welcher Gott wirklich und wie groß seine Allmacht war. Er hätte sich Isebel, dem Rest ihrer Priesterbrut und ihrem schlaffen Gatten ohne Furcht entgegenstellen können. Tatsächlich aber geschah das Gegenteil: Angst und Panikattacken ergriffen ihn. Er schlotterte vor Angst und statt anzugreifen, trat er in wilder Panik die Flucht an. Elias Feuer war erloschen. Er war ausgebrannt. Er hatte alles gegeben.
Weit im Süden, am Rand der Wüste glaubte er, vor Isebels Zorn sicher zu sein. Er wanderte sogar noch ein Stück weiter. Dann setzte er sich unter einen Wachholderbusch und versank in einer Erschöpfungsdepression.
„Es ist genug“, teilte er Gott mit. „Herr, lass mich sterben. Ich bin auch nicht besser als die, die vor mir waren.“ Mit allem hatte es Elia eilig, auch mit dem Tod. Diese heilige Depression war der Wendepunkt in Elias Leben. Er wünschte sich, zu sterben. Aber Gott setzte einen Neuanfang.

Burnout, Erschöpfung, Überforderung, Depression sind die Flüche der modernen Leistungsgesellschaft. Sagt man so. Aber was ist der Fluch eigentlich? Die Depression oder die falschen Erwartungen? Elia bekam von Gott höchstpersönlich eine Lektion in Sachen Burnout. Gott antwortete Elia nicht. Er schwieg. Er war ihm nicht zu Willen und ließ ihn sterben. Elia versank in ein dunkles Dämmern und als er die Augen öffnete, fand er einen Schluck Wasser und etwas frisches Brot.
Und dann sprach Gott zu ihm: „Iss erst einmal, trink und schlafe.“
Nachdem er sich ausgeruht hatte, bekam er noch einmal eine Portion Wasser und Brot neben seinem Kopf. In der Kraft dieser Speise, wanderte er vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum heiligen Berg Sinai. Und erst jetzt, nach essen, trinken, wandern, sprach Gott mit ihm.

Die Getriebenen dieser Welt verlieren in ihrer überbordenden Aktivität schnell die Welt aus den Augen. Weil alles sich alles um sie herum bewegt in ihrer atemberaubenden Geschwindigkeit, glauben sie, dass sie das Tempo vorgeben. Wie ein Kind, das einen Globus immer schneller dreht.
Wir dürfen uns in dieser Hinsicht nichts vormachen. Die Welt hat ihr eigenes, unabhängiges Tempo.
Doch weil die Getriebenen diesen Umstand gerne übersehen, glauben sie auch, mit Gott verhielte es sich genauso. Elia jedenfalls schien diesem Glauben aufgesessen und daran gescheitert zu sein.
Gott fragte den Elia: „Was machst du hier?“
Und Elia antwortete: „Ich habe gebrannt für dich. Ich habe für dich gekämpft. Niemand in deinem Volk schert sich um dich. Also habe ich das Schwert ergriffen und alle deine Feinde umgebracht. Aber geändert hat sich nichts. Gar nichts. Und nun bin ich verbrannt. Ich bin nur noch Asche.“
In Elias Antwort steckt aller Trübsal, alle Enttäuschung eines Überanstrengten. Er hat alles gegeben, was er zu geben hatte und noch mehr. Und alles war für die Katz. Er hatte sich verschätzt. Mehr noch: Gott hatte sich verschätzt. Alles war geblieben, wie es war. Statt seine Feinde besiegt zu haben, hatte Elia sie alle auf dem Hals. Das Volk blieb, Danke für die Show!, träge und unentschieden wie zuvor. Aber hatte Gott denn überhaupt erwartet, was Elia von sich abverlangt hatte? Die beiden Fragen, die sich hinter der Frage „Elia, was tust du hier?“ verbargen, lauten, ob Gott überhaupt von Elia erwartet hatte, was dieser von sich selbst verlangte und ob Gott überhaupt der war, von dem Elia erwartet hatte, das er es sein sollte. Der Dröhnende, Gewaltige, Allmächtige und Zerstörende. Gott sprach zu Elia: „Sieh dir das Folgende an und sage mir, wo ich zu finden bin?“
Elia trat auf einen Felsvorsprung. Ein Sturm brach los, der die Steinlawinen von den Bergen riss. Ein Erdbeben ließ ganze Felswände abrutschen. Ein Ungewitter riss den Himmel in Stücke.
Aber in all dem war Gott nicht. Dann hörte Elia ein stilles Säuseln. In diesem Windhauch war Gott. Eine Brise mit der Autorität des Allmächtigen. Da bedeckte der Prophet sein Gesicht aus Ehrfurcht und Scham.
Elias Irrtum war, dass er meinte zu wissen, wer Gott ist und wie er handelt, nämlich voller Zorn und Gewalt. Weil er selbst, Elia, so handeln würde. Ein typischer Zug von Leuten, die sich gerne in etwas hineinsteigern und „überfokussieren“ Unsereins hat die Neigung, diesem Irrtum zu erliegen.
Umso niederschmetternder, wenn der Irrtum zu Tage tritt. Es gibt eine Menge Gründe, warum jemand ausbrennt. Aber ein Grund ist jener Tunnelblick aus falschen Erwartungen. Und der zweite, sich nicht von diesen Erwartungen abringen zu lassen.

Ich bin, ich gebe es zu, was diese beiden Irrtümer betrifft, ein Wiederholungstäter. Eben drum fiel mir Elia auf. Ich neige wie er dazu, von einer Sache so sehr überzeugt zu sein, dass es daneben keine andere gibt. Ich sage ja nicht, das es falsch ist, eine Überzeugung zu haben und sich dafür einzusetzen – im Gegenteil: Das israelitische Volk und sein König hatten weder eine Meinung, noch eine Überzeugung noch einen Glauben. Sie waren träge wie Vieh, das weder nach rechts und nach links sieht und sich nur um das nächste Büschel Gras kümmert.
Elia hingegen hatte eine so feste Überzeugung, dass er meinte, sogar Gott müsse sich daran halten. Und deshalb verausgabte er sich.

Wie ging es nun weiter mit Elia? Wurde er von Gott zu Recht gebracht und nach dem Lernerfolg zurückgeschickt, um es diesmal richtig anzufangen? Der Patient wird von seiner Depression geheilt, von falschen Selbst- (und Gottesbild) geheilt und dann wieder ins Rennen geschickt.
Nein, das geschah nicht.
Elia ging nicht mehr nach Israel. Gott hielt ihm weder eine heilige Standpauke, noch therapierte er ihn. Aber er schickte ihn auch nicht mehr zurück. Gott gab seinem Propheten einen letzten Auftrag, nämlich seinen Nachfolger aufzusuchen, einen jungen Mann namens Elisa. Der wurde der Prophet über Israel. Gott übergab Elisa den Auftrag nicht deswegen, weil Elia sich als untauglich erwiesen und versagt hatte. Sondern schlicht, weil Elias Zeit in Israel vorbei war. Jetzt war ein anderer dran.

Dieser Punkt wird von getriebenen Menschen gerne übersehen. Sie können sich nur vorstellen, an vorderster Front zu stehen. Sie sagen: „ Es gibt für mich nur diesen Platz.“ Ein Burnout ist nicht nur ein Zeichen, dass man sich durch falsche, überzogene Erwartungen überfordert hat. Es kann auch ein Zeichen dafür sein, dass etwas anderes anbrechen muss. Elia hatte verstanden, am Ende endlich verstanden, dass er weder über den Zeitpunkt bestimmte, wann was zu geschehen hatte, noch über die Art und Weise wie etwas zu geschehen hatte.

Ich neige – wie Elia – dazu, Gott mit meinen Entscheidungen zuvorzukommen und ihn so zu entmündigen. Der Weg des Glaubens, ob Elias Weg, meiner oder sonst irgendeines Menschen, hat das Ziel zu erkennen, dass Gott das letzte Wort hat. Und sich danach auszurichten. Das ist eine lebenslange Übung.
Elia dachte, dass sich sein Glaube am Erfolg bemaß, ob er seinen Willen durchsetzte. Dieser Irrglaube führte ihn ins finstere Tal seines Burnouts. Es ist nicht möglich, zwischen dem, was ist und was ich erwarte, keine gerade Linie meines Willens ziehen. So beherzt ich bin, so überzeugt ich mich einsetze, so gerecht mir meine Sache auch erscheint. Dietrich Bonhoeffer kämpfte gegen die Nazis und wurde verhaftet. Seine Sache war gerecht. Sie hätte es verdient, Erfolg zu haben. Stattdessen wurde er im KZ Flossenbürg hingerichtet. Er erfuhr wie kein anderer, dass es keine gerade Linie gibt, zwischen dem, was ist und dem, was sein soll. Das letzte Wort liegt nicht bei uns. Als er dies verstand, schrieb er aus der Haft einen sehr berührenden Brief an seine Familie: „Macht euch bitte keine Sorgen um mich, wenn etwas Schlimmes geschieht. Das haben … andere auch schon durchgemacht … Ich muss die Gewissheit haben können, in Gottes Hand zu sein und nicht in Menschenhänden. Dann wird alles leicht.“ (Aus: Widerstand und Ergebung, 7. Aufl., Hamburg 1971, S. 97).
Am Ende also zählt nicht, wie sehr ich eine Sache vorantrieb, ob ich dabei übertrieb, scheiterte oder ob sie mir gelang. Am Ende zählt, in welcher Gewissheit ich es tat.

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