ADHS in der Schule

ADHS in der Schule
Vortrag an der Grund- und Hauptschule Jettingen
am 7.6.2011


I. Einleitung
II. Hauptteil
1. Wie erscheint ADHS in der Schule?
2. Wie wird ADHS in der Öffentlichkeite verhandelt?
3. Was ist ADHS tatsächlich?
4.Wie fühlt sich ein betroffenes Kind/ Jugendlicher?
5. Einige Empfehlungen zum Gespräch mit Eltern betroffener Schüler



I. Einleitung

Vielen Dank für Ihre Einladung.
Es freut mich, dass Sie Fr. Sonnenmoser und mir vom Bundesverband ADHS-Deutschland Gelegenheit geben, Ihnen Informationen zu ADHS weiterzureichen.
Es ist von großer Notwendigkeit, sich zu informieren und das Gespräch zu suchen – ich komme am Schluss meiner Ausführungen noch einmal darauf zurück.
Sie gehen hier an Ihrer Schule in die richtige Richtung. Darüber freue ich mich.

Meine Ausführungen habe ich in fünf verschiedene Fragen gegliedert.
Dabei gehe ich vom Äußeren ins Innere, also in der Weise vor, wie Ihnen als Pädagoginnen und Pädagogen ADHS bei betroffenen Schülern begegnet.




II. Hauptteil

1. Wie erscheint ADHS in der Schule?

ADHS zeigt sich nicht in einem Erscheinungsbild, sondern in Varianz. Die bekannteste Variante ist der unaufmerksam-hyperaktive Typ.
Betroffene Schüler sind leicht ablenkbar, motorisch ständig in Bewegung und bedürfen dauernder Aufmerksamkeitskontrolle.
Für Sie als Lehrerinnen und Lehrer ist diese Kontrolle schwer zu leisten, weil Sie vor einer ganzen Klasse stehen und nicht nur von einem einzelnen Schüler.

Oft zeigt sich diese Variante des ADHS in Verbindung mit Launenhaftigkeit und spontanen Reaktionen, die nicht immer zum Unterrichtsablauf passen.
Neben dieser Neigung zu mangelnder Impulskontrolle erscheint ADHS auch gelegentlich durch überzogene oder unbegründete Bockigkeit, als oppositionelles Verhalten.

Als Unterrichtender ist man mit einem dieser Züge ausreichend beschäftigt.
Treten mehrere oder alle bei einem betroffenen Schüler auf, ist der Ablauf einer Stunde mehr als in Frage gestellt.

Neben der unaufmerksam-hyperaktiven Variante des ADHS, die am häufigsten wahrgenommen wird, gibt es noch eine weitere, weniger bekannte Variante: Der unaufmerksame Typ ohne Hyperaktivität, das sog. hypoaktive ADS.

Hypoaktivität ist sehr häufig bei Mädchen anzutreffen bzw. wird bei ihnen stärker wahrgenommen.
Hypoaktive Schülerinnen und Schüler sind viel unauffälliger als hyperaktive. Sie wirken dadurch pflegeleichter.
Sie sind langsamer und erscheinen – fälschlicherweise - schwer von Begriff, aber zumindest stören sie nicht den Unterricht.
Sie sehen, dass bei der Wahrnehmung und Beurteilung von ADHS die Rahmenbedingungen eine Rolle spielen.

Als dritte Variante des ADHS ist diejenige zu nennen, die sich nicht durch fehlende Aufmerksamkeit, sondern durch fehlende Impulskontrolle auszeichnet; hier gerät die Namensgebung „ADHS“ an ihre Grenzen.
Schülerinnen und Schüler, die von dieser erst seit jüngster Zeit dem ADHS zugeordnete Variante leiden, neigen zu Wutanfällen, überzogenen Reaktionen, sind in schneller Abfolge himmelhochjauchzend und zu-Tode-betrübt.

Die Besonderheit des ADHS zeigt sich, wie Sie sehen können, an der Bandbreite der Symptomatik und in ihrer Uneindeutigkeit.
Jedes Symptom für sich genommen, ist keinem von uns unbekannt. Wir alle kennen Zeiten, in denen wir unaufmerksam oder launenhaft sind.
Meist aber stehen diese Phasen in Verbindung mit besonderen Lebensumständen. Bei Menschen mit ADHS erscheinen diese Symptome in Häufung, also als Syndrom und unwillkürlich.

Als weitere Problematik tritt beim ADHS hinzu, dass es häufig in Verbindung mit Begleiterkrankungen steht, z.B.
Lernschwächen
Tic-Störungen
Suchtverhalten
Essstörungen



ADHS erscheint verdeckt und es ist dann schwierig zu entscheiden, wo man pädagogisch bzw. didaktisch ansetzen kann.
Sie erkennen an diesem Punkt vielleicht schon, wie wesentlich Information und Offenheit für ADHS ist. Das Syndrom lädt zu vielen Sackgassen ein.


2. Wie wird ADHS öffentlich verhandelt?

Aus diesem Grund gibt es kaum ein psychiatrisch-neurologisches Phänomen, das derart umstritten verhandelt wird und zugleich derart populär ist.
Ähnlich wie bei Depression steht die Beurteilung von ADHS sehr in Abhängigkeit zur allgemeinen öffentlichen Einschätzung.
Aufklärung und Information in Bezug auf ADHS bedeutet Mündigwerden.
Ich nenne drei Schlaglichter einer verfehlten Beurteilung:

ADHS wird als Erziehungsfehler betrachtet
Gerhild Drüe, Pädagogin und Autorin des Buches „ADHS kontrovers“ sieht eine wesentliche Ursache für diese einseitige und darin verfehlte Einschätzung die Psychologisierung der Pädagogik.
Störungen und Auffälligkeiten werden dem familiären Umfeld zugeordnet, leider häufig auch dem Duktus der Psychoanalyse folgend dem mütterlichen Einwirken.
Natürlich kann dieser Faktor eine Rolle spielen, insbesondere wenn nicht nur das Kind sondern auch ein Elternteil von ADHS betroffen ist.
Aber eine einseitige Zuordnung steht eher in Zusammenhang mit einer Ideologisierung des ADHS als mit einer sachlich angemessenen Reflexion.

ADHS wird als Hinweis auf eine verborgene Hochbegabung gesehen
Gelegentlich neigen Eltern zu dieser Auffasssung, weil sie sich das Verhalten ihres Kindes und die damit einhergehenden Probleme nur durch Unterforderung erklären und zugleich die Problematik ins Positive lenken können.
Zwar gibt es unter ADHS-Betroffenen viele sehr begabte Menschen, Hesse, Edison oder Mozart. Aber ein ausgesprochenes Hochbegabungsmerkmal ist ADHS nicht.
Es tritt sowohl bei Hochbegabungen, als auch bei normal- und minderbegabten Menschen auf.

ADHS wird als Modeerkrankung verhandelt
Schließlich wird ADHS gerne als Modeerkrankung betrachtet – einem Duktus, dem gerade in den Medien gerne Folge geleistet wird.
Hier zum Ausdruck, wie stark ADHS in seiner Beurteilung vom gesellschaftlichen Rahmen abhängig ist.
Wir leben in einer Zeit, die Symptome des ADHS provoziert und herausstellt.
Die sehr starke und nicht immer gerechtfertigte Zunahme an Diagnosen und Medikationen hat mit dem derzeitigen Unvermögen zu tun, wirkliches ADHS von adhs-ähnlichen Erscheinungsweisen zu unterscheiden.
Eine Diagnose des echten ADHS bedarf Zeit und einer gewissen Kompetenz. Fehlt beides kommt es nicht selten zu Fehldiagnosen und -medikationen.
Fakt ist, dass die Betroffenheit von wirklichem ADHS in einer Bevölkerung konstant ist und das Phänomen ADHS alt ist und keineswegs eine neue Erkrankung.



3. Was ist ADHS tatsächlich?

ADHS ist eine Variante des Verhaltens und der Wahrnehmung. Es zeigt sich in einer Bandbreite an Symptomen und dieses Symptome in unterschiedlich ausgeprägter Stärke.
ADHS kann sich in extremen Fällen als Störung zeigen, aber viele Betroffene haben gelernt, im Laufe der Zeit mit den Symptomen umzugehen, manchmal sogar Gewinn aus ihrem ADHS zu ziehen.
ADHS hat demnach eine Krankheitsseite und eine Seite der Möglichkeiten.

Das Syndrom ist ein neurologisch-psychiatrisch erfasstes und erforschtes Phänomen.
Es wird durch Schwankungen und Unausgewogenenheiten des Gehirnstoffwechsels verursacht.
Die Weitergabe an Nervenreizen bzw. Informationen über die Synapsen geschieht unregelmäßig.
Daraus ergeben sich die Symptome wie Unaufmerksamkeit, Launenhaftigkeit, Impulsivität usw.

Die Grundanlage für das ADHS ist Vererbung; die Heritabilität ist enorm hoch.
Im Lauf der Reifung des Gehirns kann ADHS verschwinden, doch bei einer großen Zahl von Menschen bleibt es im Erwachsenenalter bestehen.
Hier allerdings zumeist gänzlich verdeckt unter Kommorbiditäten (Begleiterkrankungen) wie Depression und Suchtverhalten.
Neben der unverkennbar hohen genetischen Disposition müssen auch die Ursachen in Erwägung gezogen werden, die diese Veranlagung befördern (Epigenese).
Das führt uns in den schulischen Bereich.


4. Wie fühlt sich ein betroffenes Kind/ Jugendlicher?

Ich nenne auch hier drei Schlaglichter:

Betroffene fühlen sich anders. Sie ecken an, ohne zu verstehen, warum sie stören.
Sie leiden unter den Nachteilen des ADHS, nehmen Kritik und Ablehnung stark wahr und reagieren stark darauf.

Schule wird für betroffene Kinder und Jugendliche aus mehreren Gründen als unangenehm empfunden:
Der Unterricht zielt auf abstrakten Lernstoff und abstrakte Resultate (Klassenarbeiten); Menschen mit ADHS hingegen arbeiten gerne in Projekten oder konkrete Ziele hin.
Am Ende einer langen Lerneinheit Wissen abzurufen gelingt ihnen oft nur unzureichend; sie bleiben hinter ihren Fähigkeiten zurück.

Ein Schultag ist lange. Durch die Hausaufgaben wird er noch verlängert. Die unangenehme Schulzeit setzt sich auch zu Hause fort.
Häufig können sich betroffene Schüler nicht mehr motivieren; Folge: Hausaufgaben werden nicht gemacht.

Das „Schulgewimmel“ wird von Schülern mit ADHS als unangenehm empfunden. Sie können sich nicht zurückziehen.
Im Unterricht ist durchgängig Konzentration verlangt, in den Pausen kippt das ganze in Diffussion; dieses Wechselspiel ist sehr anstrengend.



5. Empfehlungen für Gespräche mit Eltern betroffener Schüler

Rechtzeitig das Gespräch mit den Erziehungsberechtigten suchen: Kurz vor Zeugnissen, Versetzungen oder Schulempfehlungen das Gespräch zu suchen, ist in der Regel zu spät. Die Situation für Sie als Lehrer und die des Schülers hat sich dann oft zugespitzt und die Zeit reicht nicht mehr aus, um konstruktive Überlegungen anzustellen.

Von Vorwürfen oder vermuteten Diagnosen absehen
In Gesprächen mit Eltern von ADHS-Kindern wurde mir gelegentlich geschildert, dass sie mit der dringenden Empfehlung von Lehrern konfrontiert wurden, ihrem Kind Ritalin verordnen zu lassen. Eine Diagnosestellung und medikamentöse Behandlung ist immer Sache eines Mediziners. Die Vorfestlegung eines Kindes auf ADHS erschwert einen sachgemäßen Umgang.
Insbesondere Kinder, die von der hyperaktiven Variante des ADHS betroffen sind, neigen zu verbalen oder körperlichen Ausfällen. Es ist nicht sinnvoll, von diesen Verhaltensweisen auf den Erziehungsstil der Eltern zu schließen. Oft sind diese selbst ratlos und erschrocken über das Verhalten ihres Kindes.

Das Kindeswohl im Rahmen der schulischen Möglichkeiten und Grenzen ins Zentrum rücken
Bei aller Schwierigkeit, die Lehrern die Arbeit mit ADHS-Schülern verursacht, verhilft es zu einer differenzierten Vorhergehensweise, sich vor Augen zu halten, dass das Kind im Mittelpunkt steht. Förderbeschulung, wie in manchen Fällen empfohlen, ist nur in äußerst extremen Fällen hilfreich; in den meisten Fällen von ADHS-Schülern greift sie nicht


Gesprächsverlauf:
1. rechtzeitig das Gespräch suchen
2. sich vor Augen halten, dass die Familien, insbesondere die Mütter oft bereits einen Leidensweg hinter sich haben
3. sich vor Augen halten, dass man im Elterngespräch evtl. auch auf Impulsivität stoßen kann
4. eine breit aufgestellte Gesprächsbereitschaft anzeigen; ADHS betrifft Schule, Elternhaus und Therapie gleichermaßen – hier Kontakt halten bzw. anzeigen, dass man ihn halten will.

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